Die Flamme erlischt by Martin George R. R

Die Flamme erlischt by Martin George R. R

Autor:Martin, George R. R. [Martin, George R. R.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Knaur
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Dirk lehnte sich über das schmiedeeiserne Geländer. Er sah hinauf und dann nach unten, und ihm wurde schwindelig. Der Zentralschacht schien sich in beiden Richtungen schier endlos zu erstrecken. Vom Fuß bis zur Spitze waren es nur zwei Kilometer, wie er wohl wußte, aber alles daran vermittelte das Gefühl unendlicher Entfernung. Die aufsteigende Warmluft, die federleichten Teilchen Auftrieb verlieh, füllte den dröhnenden Schacht mit grauweißem Nebel, und die Balkone, die Stockwerk über Stockwerk den Rand bildeten, sahen alle gleich aus und erweckten ein Gefühl unendlicher Wiederholung.

Gwen hatte ein kleines, silbern schimmerndes Metallinstrument aus dem Sensorenkoffer genommen. Neben Dirk trat sie an das Geländer und warf es mit leichtem Schwung in den Schacht. Beide sahen zu, wie es hinaussegelte, sich dabei überschlug und reflektiertes Licht aufblitzen ließ. Es schwebte ungefähr bis zur Mitte des Abgrunds, bevor es langsam, sanft, halb getragen von der aufsteigenden Luft, zu fallen begann, ein tanzender Metallsplitter im künstlichen Sonnenlicht. Eine Ewigkeit lang sahen sie ihm nach, bis es in der grauen Tiefe unter ihnen verschwunden war. »Na ja«, meinte Gwen, nachdem sie es aus den Augen verloren hatten, »wenigstens funktioniert die Antigravitation noch.« »Ja. Bretan kennt die Stadt nicht. Jedenfalls nicht gut genug.« Dirk sah wieder nach oben. »Ich denke, wir sollten es wagen. Wer geht als erster?«

»Bitte nach Ihnen«, meinte Gwen und lächelte.

Dirk öffnete das Balkontor und trat ganz bis zur Wand zurück. Ungeduldig wischte er sich eine Locke aus den Augen, zuckte mit den Schultern, rannte los und stieß sich vom Rand so kräftig wie möglich ab. Der Sprung trug ihn hinaus und hoch, hoch. Einen verrückten Moment lang glaubte er zu fallen, und sein Magen krampfte sich zusammen. Aber dann riß er die Augen auf, sah und fühlte. Nun war es nicht mehr wie Fallen, es war Fliegen, Schweben. Ausgelassen begann er zu lachen, streckte die Arme über seinem Kopf aus und brachte sie mit kräftigem Zug an seinen Körper heran. Schneller werdend, schwamm er höher. Leere Balkonreihen glitten vorbei: eine Etage, zwei, fünf. Früher oder später würde er zu sinken beginnen und eine langsam absteigende Kurve in die grau verhüllte Ferne hinein beschreiben. Aber er würde kaum Zeit zum Fallen haben. Die andere Seite des Zentralschachts war nur dreißig Meter entfernt, ein einfacher Sprung durch die papierdünnen Ketten der hier herrschenden Minischwerkraft.

Schließlich kam die konkave Wand näher, und er prallte, sich überschlagend und grotesk aufwärtstaumelnd, vom schwarzen Eisengeländer ab, bevor er eine Strebe des Balkons darüber zu fassen bekam. Er hatte den Zentralschacht durchquert und elf Stockwerke Höhe gewonnen. Lächelnd und merkwürdig angeregt, setzte er sich und sammelte Kraft für einen zweiten Sprung, während er beobachtete, wie Gwen es ihm nachtat. Sie flog wie ein seltsamer, aber anmutiger Vogel. Ihr Haar schimmerte wie schwarze Seide hinter ihr, als sie dahinschwebte und ihn um zwei Stockwerke schlug. Als er die 520. Etage erreichte, hatte Dirk überall am Körper Prellungen, weil er so oft gegen die eisernen Geländer gestoßen war. Dennoch fühlte er sich recht gut. Am Ende seines sechsten schwindelerregenden Sprunges über die



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